Das war eine andere Zeit“, erwidert Klaus Doll lachend auf die Frage, was sich seit der Jahrtausendwende in der betrieblichen Weiterbildung geändert hat. „Damals waren die Seminare noch echte Auszeiten vom Betriebsalltag“, ergänzt der Organisationsberater aus Neustadt an der Weinstraße. Dann schildert er, wie er zu Beginn seiner Beratertätigkeit, meist bepackt mit mehreren Moderationstafeln und einem riesigen Koffer in Seminarhotels fuhr, um dort ein drei- bis fünftägiges Führungstraining durchzuführen. Heute hingegen dauerten dieselben Seminare meist nur noch ein, zwei Tage, stellt der Berater nüchtern, jedoch ohne Bedauern fest.
Die Teilnehmer ticken heute anders
Zur Jahrtausendwende war eine zentrale Funktion der Präsenz-Seminare und -Training noch, dass die Teilnehmer sich persönlich kennen, verstehen und als Person schätzen lernen. Dies geschah zu einem großen Teil während der informellen Gespräche in den Pausen oder abends in der Bar. Diese Gespräche finden heute kaum noch statt: „Statt in den Pausen gemeinsam Kaffee zu trinken und zu schwatzen, ziehen sich die Teilnehmer heute in der Regel mit ihrem Handy in eine ruhige Ecke zurück, um dort zu telefonieren oder ihren Maileingang zu checken“, stellt Doll bedauernd fest. Und abends sitzen sie selten gemeinsam in der Bar; stattdessen erledigen sie in ihren Zimmern an ihren Laptops noch dringliche Aufgaben oder chatten mit Bekannten. Durch diese gravierende Veränderung des Sozialverhaltens der Menschen ging eine zentrale Funktion der Präsenz-Seminare weitgehend verloren: die Netzwerkbildung. Auch deshalb denken viele Unternehmen schon lange darüber nach, inwieweit man die zeitintensiven und meist teuren Präsenz-Seminare durch Online-Trainings- und -Seminare ersetzen kann.
Die Digital-Technik entwickelte sich rasant weiter
Mit dem Thema E-Learning begannen sich die Personalverantwortlichen in den Unternehmen verstärkt kurz vor der Jahrtausendwende zu befassen, erklärt die Wiener Wirtschaftspsychologin und (Online-)Trainerausbilderin Sabine Prohaska. Denn damals wurde der Veränderungs- und somit Lernbedarf in vielen Unternehmen so groß, dass er zentral, also zum Beispiel von den Personalabteilungen, nicht mehr erfasst werden konnte. Zudem wurde der Weiterbildungsbedarf aufgrund der verschiedenen Funktionen der Mitarbeiter in den Unternehmen sowie deren unterschiedlicher Vorerfahrung so individuell, dass er mit standardisierten Programmen alleine nicht mehr befriedigt werden konnte.
Deshalb debattierten die Personaler unter dem Begriff „Employability“ (Arbeitsmarktfähigkeit) lebhaft darüber, inwieweit die Mitarbeiter künftig selbst dafür verantwortlich sein sollten, dass sie – kurz-, mittel- und langfristig – die Fähigkeiten haben, die sie zum Wahrnehmen gewisser Aufgaben und Funktionen im Unternehmen brauchen. Die Mitarbeiter sollten, wie der Unternehmensberater Alban Maier von der Assention AG, Pfäffikon (CH), betont, sozusagen „Selbstentwickler“ werden, und als ein geeignetes Tool hierfür wurden unter anderem elektronische Lernplattformen gesehen, „mit deren Hilfe die Mitarbeiter das benötigte Wissen sich selbst aneignen können – und zwar dann, wenn sie es brauchen“.
Zum Einsatz kamen diese E-Learning-Plattformen aber meist nur in Großunternehmen, konstatiert Hans-Peter Machwürth, Inhaber des Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI), Visselhövede – unter anderem, weil der Aufbau der hierfür erforderlichen IT-Infrastruktur und die Entwicklung der benötigten Lernprogramme zum damaligen Zeitpunkt noch so teuer war, dass sich diese Investition nur bei großen Mitarbeitergruppen lohnte. Entscheidender war laut Prohaska jedoch: „Um die Jahrtausendwende waren die Zielgruppen der Weiterbildung noch weitgehend Babyboomer, also keine Digital Natives, sondern Immigrants mit einer eher geringen Digitalkompetenz.“ Entsprechend groß waren oft ihre Vorbehalte gegen ein computergestütztes Lernen. Deshalb erlahmte in den Folgejahren zunehmend die anfängliche Euphorie vieler firmeninterner Weiterbildner für das Thema E-Learning.
Weiterbildner „verschliefen“ wichtige Entwicklungen im Digital-Bereich
Viele Weiterbildner und mit ihnen zahlreiche externe Berater „verschliefen“ in den Folgejahren dann auch zwei ganz entscheidende Entwicklungen:
Dies führte laut Alban Maier nicht selten zu der anachronistischen Situation, „dass im Betriebsalltag zwar schon alle für die Leistungserbringung relevanten Prozesse computer- und netzgestützt abliefen, in der betrieblichen Weiterbildung die moderne Informations- und Kommunikationstechnik aber nicht zum Einsatz kam. Und während die Mitarbeiter privat schon längst ganz selbstverständlich neben Selbstlern-Apps beispielsweise zum Sprachen-lernen, auch sogenannte Coaching-Apps beispielsweise zum Entspannen nutzten”, ergänzt Hans-Peter Machwürth, „lautete im Business-Bereich noch weitgehend das Credo: Ein Coaching setzt ein persönliches Treffen von Coach und Coachee voraus.“ Dieser Widerspruch beeinflusste auch das Image der firmeninternen Weiterbildung negativ. „Der Digitalisierungsprozess in der Wirtschaft und Gesellschaft ging an der betrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung über viele Jahre fast spurlos vorbei“, bilanziert denn auch Sabine Prohaska.
Corona war ein lauter Weckruf
Das änderte sich schlagartig durch die Pandemie. Insbesondere während den Lockdowns waren Präsenzveranstaltungen nicht oder nur bedingt möglich. Deshalb wurde in vielen Betrieben das Online-Lernen forciert. Das Lernen mit entsprechenden Plattformen, Foren und Kollaborationstools wurde anfangs aber oft noch als ein minderwertiger Ersatz für das Seminarlernen gesehen. „Erst allmählich dämmerte den Verantwortlichen, dass das digitale Lernen eine überfällige Bereicherung der Weiterbildung darstellt“, sagt Prohaska. „Unter anderem, weil die Teilnehmer hierbei viel stärker dazu animiert wurden, ihre Lernprozesse selbst zu organisieren und zu gestalten.“
Ein weiterer Vorteil des Online-Lernens ist laut Hans-Peter Machwürth, „Mit ihm sind ganz viele neue Personengruppen für die Weiterbildung erreichbar, die es vorher nicht gab, so zum Beispiel:
In den zurückliegenden 1,5 Jahren haben denn auch viele Unternehmen, natürlich auch coronabedingt, die erforderliche technische Infrastruktur hierfür aufgebaut.
Ziel: Eine neue Lernkultur entwickeln
Die nötige Technik zu implementieren, ist aber nur „der erste Schritt“, betont Prohaska. Entscheidend sei das Etablieren einer neuen Lernkultur. „Wenn die Mitarbeiter real in ihrer Entwicklung gefördert werden sollen, gilt es auch zahlreiche soziale und emotionale Aspekte zu beachten.“
Deshalb empfiehlt sie Unternehmen zum Beispiel beim Aufbau einer neuen Lerninfrastruktur und Entwickeln neuer Lerndesigns stets zu reflektieren:
Wenn in den Unternehmen real eine neue Lernkultur entstehen soll, bei der das Lernen ein integraler Bestandteil des Arbeitsalltags der Mitarbeiter ist, sollten aber auch gewisse Rahmenbedingungen gegeben sein. Dann sollten zum Beispiel Lernzeiten von den Unternehmen als solche anerkannt, zur Verfügung gestellt und bezahlt werden – und zwar unabhängig davon, ob die Mitarbeiter im Betrieb oder Homeoffice arbeiten. Dies ist in vielen Unternehmen noch nicht der Fall.